Loslassen Lernen

Ein Pfau schlägt sein prachtvolles Rad.

Einst … lebte in einem fernen Königreich eine Prinzessin.

Die Prinzessin hieß Arya.

Arya lebte in einem Schloss, das, umgeben von hohen Bergen, in einem hübschen Tal lag.
Ihre Stärke war das Kommunizieren.
Schon als Kind hatte sie alle Menschen in ihrer Nähe angesprochen und in ein Gespräch verwickelt.
Dadurch war sie im ganzen Königreich bekannt und beliebt.

Von der Ferne sieht man Schloss Neuschwansten, wie es auf den Bergen tront.
Dahinter sieht man weitere majestätische Berge und darüber einen blau-grau-rosa gefärbten Himmel mit Wolken.

Eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen war es, auf die Bälle zu gehen, die ihre Eltern oder die Nachbarkönigreiche veranstalteten, um passende Gemahlinnen und Gemahlen für ihre Nachfolger zu finden.

An einer Vermählung war Arya noch nicht interessiert.
Aber sie liebt es, sich in schöne Gewänder zu hüllen, sich mit wohlriechenden Salben einzureiben und sich zu zeigen. Durch ihre Ausstrahlung brauchte sie kein Belladonna, wie manch andere Prinzessin.
Ihr war dieses Kraut schon immer suspekt gewesen und sie hatte es nie angerührt. Sie konnte auch ohne die Nacht durchtanzen und Spaß haben.

Was sie ebenso gern mochte, war, durch die Wälder zu streifen und die Natur zu „riechen“, wie sie immer sagte. Sie empfand die Gerüche der Nadelbäume als Wohltat und genoss sie in vollen (Atem-)Zügen.

Man sieht einen schneebedeckten Waldboden und das untere Stück von schneebedeckten Nadelbäumen.
Durch den Schnee wurde ein kleines Weglein getrampelt.

Es war im Winter, als sie einmal wieder auf einem Spaziergang durch den Wald unterwegs war und von einem Unwetter überrascht wurde.
Der Wind peitschte ihr den Schnee ins Gesicht und der Donner brachte den Boden zum Beben.
Rasch lief sie in eine nahegelegene Höhle und stellte sich dort unter.

Kurze Zeit später kam ein junger Rabe herein geflogen. Sein Gefieder war vom Sturm zerzaust und sein Ausdruck war verzweifelt.

„Was ist denn mit dir los, kleiner Rabe?“, fragte Arya.

„Mein bester Freund und ich waren unterwegs, als plötzlich der Sturm aufkam.
Normalerweise spüren wir das vorher, aber diesmal waren wir so ins Spielen vertieft, dass wir es nicht mit bekamen.
Jetzt weiß ich nicht, wo er ist und mache mir schreckliche Sorgen.“

Arya zog ihren Mantel fest um sich und sagte entschlossen: „Ich helfe dir, kleiner Rabe. Komm, lass uns deinen Freund suchen gehen.“

Gemeinsam verließen sie die schützende Höhle und begaben sich erneut in den Sturm.
Es dauerte nicht lange, da fanden sie seinen Freund. Er lag auf dem Boden.
Sein schwarzes Federkleid war von ein paar weißen Schneeflocken bedeckt.

Als sie näher kamen, sahen sie, dass er nicht mehr atmete. Der Sturm hatte ihn gegen einen Baum geweht und der Aufprall war zu stark gewesen.
Tränen stiegen in die Augen des Raben und Arya glaubte ein leises Knacksen zu hören. Sein Herzchen war gebrochen.
Sie legte ihre Hand auf seinen Rücken und eine ganze Weile saßen sie neben dem toten Freund des kleinen Raben.

„Als mein Vater starb, war er es, der sich um mich kümmerte. Er war schon ein bisschen älter, als ich und konnte mir Sachen beibringen.
Ich habe ihn immer „großer Bruder“ genannt. Er hat mir so viel gegeben. Durch ihn fühlte ich mich beschützt und stark.
Ich glaube in gewisser Weise hat er meinen Vater ersetzt. Und jetzt…“
Er ließ den Kopf hängen und weinte stille Tränen.

Als es anfing dunkel zu werden, sagte Arya zu ihm:
„Komm, kleiner Rabe, wir lassen deinen Freund nicht einfach so hier liegen. Wir werden ihm ein schönes Grab in meinem Schlossgarten bereiten, wenn du möchtest.“

Der kleine Rabe wiedersprach nicht.
Also nahm Arya seinen Freund behutsam in die Hände, so, als hielte sie ein wertvolles Kleinod.
Als sie ihn langsam hoch hob, sank eine Feder von seiner Schwinge sanft auf den Boden.

Vorsichtig nahm der kleine Rabe die Feder in den Schnabel, flog auf Aryas Schulter und lies sich durch den nun leise fallenden Schnee davon tragen.

Man sieht eine Feder, die rosa-blau schimmert.

Arya gab sich viel Mühe, um dem Freund des kleinen Raben ein würdevolles Begräbnis zu bescheren und der Rabe fühlte etwas Trost in seinem Herzen.

Danach fragte er: „Arya, darf ich die Feder meines Freundes in deinem Zimmer lassen? Dort kann der Wind sie nicht wegwehen.“
„Ja, sehr gerne. Schau, hier habe ich ein schönes Kästchen. Da können wir sie reinlegen.“

Auf einem dunkelbraunen Holztisch steht ein kleines, edles Kästchen.
Drum herum stehen weitere teure Gegenstände, die man nicht genau erkennen kann.

Von da an flog der Rabe jeden Tag zum Schloss, um Arya zu besuchen und die beiden wurden gute Freunde.

Eines Tages sagte Arya zu ihm:
„Weißt du, was schon immer meine Lieblingsgeschichte gewesen ist? „Die kleine Hexe.“ Und ich hatte mir schon immer einen Raben namens Abraxas gewünscht.“

Die Augen des kleinen Raben leuchteten vor Freude und er sprach:
„Du kannst mich gerne Abraxas nennen. Der Name gefällt mir.
Ich habe in der Rabensprache zwar auch einen Namen, aber den könntest du wahrscheinlich nicht aussprechen.“

Arya lachte: „Ja, ich vermute das würde ziemlich komisch klingen. Schön, dann nenne ich dich von nun an Abraxas.“

Arya und Abraxas unternahmen viel miteinander und so lernte Abraxas auch die anderen Schlossbewohner und Aryas Freund kennen.

So ging einige Zeit ins Land und als Abraxas eines Tages wieder im Schloss ankam, sah er Arya wie ein Häufchen Elend auf ihrem Lieblingssessel sitzen und bitterlich weinen.

„Du liebe Güte, Arya, was ist denn mit dir passiert?“
Ihm wurde ganz Angst und Bang – so hatte er Arya noch nie erlebt.

Ein edler Ohrensessel steht neben einem hübschen kleinen Tischchen. 
Dahinter steht ein Lampenschirm.
Auf der rechten Seite sieht man noch den Ausschnitt eines Fensters mit ein paar Blümchen.

„Mein F-F-F-Freund hat mit mir Sch-Schluss gemacht“, schluchzte sie. „Er meint er hat sich in eine andere verliebt, irgend so eine Prinzessin aus dem Nachbarkönigreich…“

„Ach so…“, meinte Abraxas. Er hatte ihren Freund nie sonderlich leiden können.
Aber natürlich tat es ihm weh, seine Freundin so traurig zu sehen.

„Die Postkutsche hat gerade diesen Abschiedsbrief gebracht. Ich habe erst die ersten Zeilen gelesen…“
„Möchtest du, dass wir den Brief gemeinsam zu Ende lesen?“
„Ja“, schniefte sie.

Abraxas setzte sich auf ihre Schulter, rückte ganz nah an ihren Hals und Arya las laut vor.
Als sie am Ende des Briefes angelangt war, war es Abraxas, der diesmal ein Knacksen hörte: Es war Aryas Herz.

Abraxas fühlte sich hilflos. In den kommenden Tagen versuchte er, so gut er konnte, Arya zu begleiten und aufzuheitern.
Aber er wusste von sich, dass das nicht so einfach war.

Eine schöne, schwarze Kutsche steht auf einem hellgrün leuchtenden Rasen.
Sie ist oben offen und mit pinken und rosanen Blumen geschmückt.

Es war einige Zeit vergangen, als die Postkutsche erneut einen Brief des Prinzen brachte.
Arya las Abraxas vor:
„Holde Maid, geliebte Arya, obwohl ich erst kürzlich um die Hand meiner neuen Prinzessin angehalten habe, kann ich nicht aufhören an Euch zu denken…“

Abraxas war entsetzt.
Was sollte das denn nun wieder?! Wollte dieser Schnösel seine Arya weiter quälen? Er war verlobt! Was schrieb er nun an Arya?!
Wütend nahm er den Brief und zerriss ihn in kleine Fetzchen.

„So eine Frechheit!“, wetterte er. „Was für ein Unhold! Nein, Arya, damit ist jetzt Schluss! Es muss eine Lösung her, so geht das nicht weiter.
Außerdem hast du noch den ganzen Schrank voller Sachen von ihm. Das kann so auch nicht bleiben. So wirst du diesen Schurken niemals los!
Und solange überall sein Zeug herum liegt, ist rein physisch auch gar kein Platz für einen neuen Prinzen.

Komm mit, ich habe bei meinem letzten Rundflug durchs Schloss im Saal der Bücher etwas gefunden.
Aber erst gehen wir in die Küche und bitten die Köchin Berti um einen herzerwärmenden Tee. Sie ist eine gute Seele, sie wird bestimmt die passenden Kräuter für dich haben.“

Arya war inzwischen alles egal und so ließ sie sich von ihrem Freund führen.

In der Küche bekam sie eine dampfende Tasse Tee aus Rosenblättern, Mariengras und Johanniskraut und dazu eine herzliche Umarmung von der Köchin, deren Herz sich beim Anblick von Arya kräuselte.

Auf einer beigen Tischdecke steht eine Tasse auf einer Untertasse.
Sie sind wellig geformt und haben rosane und gelbe Blüten drauf gemalt.
In der Tasse befindet sich eine hellbraune Flüssigkeit.
Um die Tasse herum ist lilaner Flieder drappiert.

„Schau, mein liebes Kind, dieser Tee wird dir helfen. Trink ihn nur und geh mit Abraxas in den Saal der Bücher. Dort werdet ihr bestimmt etwas finden.“

Sie zwinkerte mit den Augen. Seit Arya ein kleines Kind war, war sie immer gerne zur Köchin in die Küche runter gegangen. Diese hatte immer ein liebes Wort, eine warme Umarmung und ein tröstendes Stück Kuchen für sie gehabt.

Arya atmete den Duft des Tees tief ein, bedankte sich bei der Köchin, ging vorsichtig mit dem irdenen Krug in der Hand in den Saal der Bücher und setzte sich in einen kuscheligen Sessel.
Sie hatte keine Motivation zum Suchen, aber das war auch nicht nötig.

eine prachtvolle Bibliothek mit vielen Büchern und Treppen mit roten Stufen

Abraxas war schon los geflogen und studierte emsig die Rücken der alten Bücher.
Die Bücher waren verstaubt und bei manchen war die Schrift kaum mehr zu entziffern.
Aber es dauerte nicht lange, da hatte er gefunden, wonach er suchte.
Es war ein großes, schlankes Buch neueren Datums und in goldener Schrift stand auf dem Einband „Loslassen Lernen“.
Unter dem Titel war ein prächtiger Phönix abgebildet und die Autorin war eine gewisse S. Bauer.
Er nahm es in seinen Schnabel und brachte es seiner Freundin.

Arya, die sich durch den Tee der Köchin schon etwas gestärkt fühlte, kuschelte sich tiefer in den Sessel, zog eine Decke über sich und begann zu lesen.
Abraxas nahm sich aus dem Schälchen auf dem Tisch eine Walnuss, setzte sich auf Aryas Schulter, ließ sich auf sein Bäuchlein sinken, so dass seine Federn ihre Haut kitzelten und las mit.
In der Zwischenzeit hatte die Köchin veranlasst, dass sich jemand um den Kamin kümmerte. Und so knisterte bald ein munteres Feuer, das eine wohlige Wärme im ganzen Saal verbreitete, während es draußen dicke weiße Flocken schneite.

In einem Kamin prasselt eine gold-weiß-rosa-orange-rotes Feuer.

Loslassen – Psychologie

„Komisch“, dachte Arya, „aus welchem Land dieses Buch wohl stammen mag – das Wort „Psychologie“ habe ich noch nie gehört…“
Sie las weiter:

Was bedeutet Loslassen?“

„Ja, das würde ich auch gerne mal wissen“, murmelte sie.

„Unsere Biologie, unsere Persönlichkeit und unsere Erziehung bedingen, dass wir bestimmte Vorstellungen, Wünsche und Bedürfnisse haben und regelmäßig neu formen, damit wir leben können und dies möglichst auf eine Art und Weise, die uns Wohlbefinden verschafft.

Zum Beispiel:
Die Biologie macht, dass wir uns Essen wünschen.
Unsere Persönlichkeit macht, was wir uns zu essen wünschen.
Und unsere Erziehung macht, wie wir essen (mit Messer und Gabel).

Auf einer hellrosanen Tischdecke stehen ein weißer Teller, zwei edle Gläser und goldenes Besteck.
Auf dem Teller liegt eine Serviette aus altrosanem Samt, die zu einer Schleife geformt ist.

Wenn wir nun eine bestimmte Vorstellung davon haben, wie etwas sein soll, nehmen wir automatisch eine Erwartungshaltung ein.
Dadurch wird in uns die Sache vorgeformt, wie eine hübsch ausgemalte Fantasie (wir stellen es vor uns hin).
Wenn es zur Erfüllung kommt, füllt sich diese Blaupause und wir sind zufrieden. 
Erfüllt sich unser Wunsch nicht, fühlt es sich an, als würden wir ins Leere laufen.
Die Fantasie und die Blaupause sind noch da, aber ungefüllt, wie trockene Schlangenhaut.

Damit die Schlangenhaut nicht an uns herum hängt und uns im Weg ist, müssen wir sie abstreifen.
Das heißt, die Blaupause muss zerstört oder abgeschnitten werden.
Dies stellt einen aktiven Schritt der Anpassung dar. Es passiert nicht von alleine.

Wenn wir es schaffen, uns von der Vorstellung zu verabschieden, sagen wir „ja“ zur Nicht-Erfüllung unseres Wunsches.
Wir sind damit in Frieden.
Dadurch bleiben wir „weich“ und offen.

Warum ist es wichtig loszulassen?

Die Antwort ist leicht: Wenn wir weich und offen sind, kann etwas Neues herein kommen.

eine hellgrüne Schlange umringt von hellgrünen Blättern

Warum ist es so schwer loszulassen?

Das Thema „Festhalten“ stellt allgemein eine große Herausforderung dar.
Jeder hält an irgendetwas fest.
Bei genauerer Betrachtung lassen sich folgende Ursachen finden,

warum Loslassen so schwer ist:

    1)    Festhalten liegt in unserer Natur.

Wenn man auf den Grund des Festhaltens blickt, sieht man, dass wir biologisch auf Festhalten programmiert sind. Und zwar auf das Festhalten am Leben
Leben ist das oberste Ziel jedes Lebewesens.
Daraus ergeben sich verschiedene Arten des Festhaltens:

  • das Festhalten am Leben

  • das Festhalten als Kind an Erwachsenen, die das Überleben sichern

  • generell das Festhalten an allem, was uns ein Wohlgefühl verschafft. Denn, wenn es uns gut geht und wir uns freuen, öffnen wir uns automatisch – gegenüber dem Leben und allem, was uns darin begegnet.
Vor einem blauen Himmel zeichnet sich ein rotes Stop-Schild ab.

Geht es uns hingegen schlecht, verschließen wir uns und stellen den Sinn des Lebens in Frage.
Wir sagen „nein“ zu dem, was wir gerade er-leben.
Das ist wie ein kleines Nein zum Leben.

Das bedeutet: Ganz und völlig loslassen können wir nicht.
Stattdessen sind folgende Fragen wichtig:

            a)    Wie stark ist das Festhalten ausgeprägt?

            b)    Leiden wir unter den Folgen?

                    * Sind unsere Wohnräume vollgestellt, so dass wir nicht mehr reingehen wollen?

                    * Stehen darin Dinge, die uns traurig stimmen?

                    * Sind wir nicht bereit uns für neue Partner, Situationen und Möglichkeiten zu öffnen, weil wir an Vergangenem festhalten?

Eine Antwort darauf kann sich nur jeder selbst geben.
Ein typisches Beispiel für allseits vorhandenes Festhalten stellt dar, wenn wir ein Portrait von uns malen lassen. Wer hat in der heutigen Zeit nicht das Schloss voller Gemälde?

Eine Hand hält ein Handy.
Darfauf sieht man das Bild einer Frau, die ein Selfie von sich macht.

    2) negative Erfahrungen in der Kindheit

Wenn wir die Erfahrung gemacht haben, dass bei einer Enttäuschung etwas anderes Schönes an die Stelle des Erhofften tritt, gibt uns das die Zuversicht, dass es beim nächsten Mal auch so sein wird.
In diesem Fall sind wir eher bereit, den Schritt des Loslassens zu gehen.
Haben wir diese Erfahrung nicht gemacht, fällt uns Loslassen schwerer.

    3) Festhalten gibt uns Sicherheit.

Festhalten ist wie eine Stange, an die wir uns klammern.
Wir fühlen uns besser, selbst wenn es nur eine „Trug-Stange“ ist.
Da wir diese Sicherheit nicht aufgeben wollen, verneinen und verdrängen wir Verlust.

    4) Verlust ist schmerzvoll.

Es ist normal, dass Menschen Schmerzen vermeiden wollen, denn dafür sind Schmerzen da.
Wenn ich auf meinen Fuß haue, tut er mir weh. Dies soll mir signalisieren:
„Mach das nicht“.

    5) Wir fühlen uns überfordert.

Was bei der Thematik des Loslassens noch mitschwingt ist der Glaube, dass wir unsere Gefühle nicht alleine verarbeiten können, weil sie unsere Verarbeitungskapazität übersteigen.

ein Haufen voller kleiner rosaner, pinker und roter Herzchen aus Filz oder Zuckerguss

Loslassen aus Liebe

Das Thema Loslassen begegnet uns in allen Lebensbereichen.
Besonders spannend wird es in abstrakten Bereichen wie Loslassen von Gedanken, der Vergangenheit, Situationen, die wir nicht ändern können und Umständen, die uns nicht gut tun.

Es gipfelt im Spirituellen.
Ein Beispiel davon ist folgende Lehre im Buddhismus:
Wenn man es schafft, sich von jeglicher Anhaftung zu befreien, löst man sich aus dem Kreislauf von Werden und Vergehen. 

Da man hierbei vom Willen zu leben loslässt, ist es ein „Gegen-das-Leben“, ein „Antibiotikum“.
So stellt sich aus tiefenpsychologischer Sicht die Frage, wo dieses Bestreben her kommt.
Es muss einem tiefen Leid entspringen, welches man nicht mehr aushält.
Das Loslassen von Allem ist hier die ultimative Lösung, um nicht nochmal in ein Leben gespült zu werden, in dem man Gefahr läuft, neues Leid zu erfahren.
Aus meiner Sicht ist es damit ein ultimatives Aufgeben. Und es ist Flucht – Weltenflucht.

Dafür habe ich jedoch tiefes Verständnis.
Es ist traurig, wenn wir es als Menschheit nicht schaffen, uns und unseren Mitmenschen Freude am Leben zu ermöglichen und Menschen sich deshalb darauf spezialisieren müssen, dem Kreislauf des Lebens ein endgültiges Ende zu bereiten.

Gegen einen blauen Himmel ragt eine weiße Buddha-Statue im Lotussitz empor. Sie befindet sich auf einem prachtvollen, steinernen, reich verzierten, hellblauen Tron.

Ein weiterer Punkt, den ich kritisch finde, wenn man sich in spirituelle Welten flüchtet, um Schmerz zu vermeiden, ist, dass es Gurus gibt, deren Absichten nicht hehren sind, sondern die ihre Jünger für ihre eigenen Egozwecke benützen.
Somit ist es wichtig, an dieses Gebiet mit Achtsamkeit und Bewusstheit heranzugehen.

Zurück zum Leben auf der Erde.
Es gibt einen Bereich, in dem selbst der Letzte mit dem Thema Loslassen konfrontiert wird: die Liebe.

Fast alle Menschen haben es erlebt: Wir verlieben uns, haben Schmetterlinge im Bauch und beginnen eine Beziehung mit dem geliebten Menschen.
Dann beginnt sich langsam alles zu ändern.

Die Themen Partnerwahl und Verlieben sind so komplexe Felder, dass man den Eindruck hat, dass alles, was wir zur Orientierung im Bereich des zwischenmenschlichen Verhaltens gelernt haben, nicht mehr abrufbar ist.
Alles, was wir uns psychisch, charakterlich und im Umgang mit anderen erarbeitet haben, ist wie weg gefegt.

Auf einem apricotfarbenen Handtuch, das wahrscheinlich auf einer Wiese liegt, sitzt ein Schmetterling.
Darüber sieht man ein Stückchen blauen Himmel.

Es ist so ein verwirrendes Thema, dass selbst Psychologen das Handtuch werfen.
Vermutlich liegt das daran, dass hier mehrere Ströme aufeinander treffen:

1)    biologische aus männlicher Sicht:
„Ich muss mich vermehren – wo ist das nächste Weibchen?!“ 

    2)    biologische aus weiblicher Sicht:
„Um das Überleben unserer Kinder zu sichern, muss er treu sein. Ist er das nicht, verletzt er meine Gefühle und bricht mir das Herz.“

    3)    kulturelle:
„Treu ist gut.“

    4)    frühere Leben:
„Den Typen kenn ich doch.“

    5)    biologisch-chemische (Oxytocin):
„Den Typen kenn ich doch aus früheren Leben. Er muss mein Seelenpartner sein. Jetzt muss ich einfach nur aushalten und geduldig sein.
–> Nein, du hast dich einfach schon einmal mit diesem Typen rumgequält.“

    6)    Ahnen:
„Den Typen fand meine Ururoma auch schon klasse.“

    7)    zeitgenössische:
„Ne, den mag i net, der hat keine Haare.“

8)    archetypische:
„Ui, das ist der größte Held im Raum. Den nehm ich. Hey, Prinzessin aus dem Nachbarreich, was machst du da, das ist meiner!“

eine Statue von Hercules, der mit einem Stein eine Schlange bezwingt

9)    psychoanalytische:
„Die Frau erinnert mich an meine Mutter. Das muss eine gute Partie sein. Die kann bestimmt gut kochen.“

    10)  psychoanalytische:
„Ja, dieser Mann ist das genaue Gegenteil meines Vaters. Das kann nur gut gehen.“

    11)  psychologische:
„Oh, dieser Mensch ist das genaue Gegenteil von mir, der ergänzt mich. Den brauch ich.“

    12)  psychologische:
„Oh, dieser Mensch ist mir so ähnlich, das bestärkt mich. Den brauch ich.“

13)  biologische:
„Mh, der Mensch riecht gut. Der passt zu mir.“

Auf einer beigefarbenen, grob gewebten Tischdecke stehen zwei kleine Fläschchen mit einer klaren Flüssigkeit und Korkverschluss.
In einem von ihnen befindet sich ein kleines Ästchen mit Blättern.
Dahinter liegen rosafarbene Gänseblümchen und eine lilane Blüte

14)  biologische:
„Jam, die Pheromone duften aber gut! Auf geht’s!“
Eine Woche später:
„Öh, wo sind jetzt die Pheromone hin? Ich glaub, ich geh lieber zur anderen Prinzessin…“

    15)  chemische:
„Mann – bin ich mies drauf. Heute regt mich jeder auf, der mehr Glückshormone ausschüttet, als ich. Hm, der Miesepeter aus dem Nachbardorf, der würde gut zu mir passen.“

    16)  kulturelle:
„Ich muss den Prinzen aus dem Nachbarkönigreich nehmen, um das Bündnis der zwei Länder zu stärken. Der König hat es befohlen.“

    17)  psychologische der Neuzeit:
„Ja, diesen Mann finden meine Eltern gut. Ich will eine brave Tochter sein. Also nehm ich den.“

18)  biologische der Altzeit aus männlicher Sicht:
„Oh, diese holde Maid hat breite Hüften und eine große Oberweite. Sicherlich wird sie das Überleben meiner Nachkommen sichern.“

19)  biologische der Neuzeit aus männlicher Sicht:

siehe 18)

eine Statue von einer Frau mit rundlichen Formen, die um die Hüften ein Tuch gewickelt hat und oben nackt ist

    20)  biologische der Altzeit aus weiblicher Sicht:
„Dieser Held hat viele Muskeln. Sicherlich wird er das Überleben unserer Kinder sichern.“

    21)  biologische der Neuzeit aus weiblicher Sicht:
„Dieser Ritter hat viel Gold. Sicherlich wird er das Überleben unserer Kinder sichern.“

    22)  biologische Mischformen:
„Ui – Muskeln und Gold…“

    23)  erziehungstechnische:
„Oh, der arme narzisstische Neurotiker – den muss ich mit meiner Liebe retten…“

    24)  psychologische:
„Um meine Selbstliebe ist es schlecht bestellt. Vielleicht kann der da mich lieben – dann tut das nicht so weh.“

In dieser oder einer ähnlichen Reihenfolge. Danach fängt alles von vorne wieder an.“

Obwohl sie nicht alle Wörter kannten, lachten sich Arya und Abraxas kringelig.
Die Köchin, die den Kopf zur Tür herein gesteckt hatte, um nach Arya zu sehen, nickte zufrieden, während sie sich die Hände an der Küchenschürze abwischte.
Sie wusste: Lachen ist ein wertvoller Schritt auf dem Weg zur Loslösung.

Eine Frau mit Kochschürze hat ein Nudelholz in der Hand und rollt aus was aussieht wie kleine Pfannkuchen.

Ihr Blick fiel auf ihre Schürze. Die hatte ihre Mutter schon getragen.
Obwohl man dies deutlich an der „Musterung“ erkennen konnte, liebte sie sie.
In dieser Schürze steckte Geschichte – sie hatte sie für alles verwendet:
Kochen, duftende Kuchen backen, Rotznasen abwischen, Tränen trocken, Äpfel aus dem Garten holen, Feuerholz aus dem Wald holen…
Ob sie sie wohl auch loslassen sollte? Wegen der Flecken…?
Aber nein, wenn sie sie ansah, war ihr Herz mit Freude erfüllt. Da waren kein Schmerz und kein Sehnen, sondern Zufriedenheit und auch ein bisschen Stolz.
Beruhigt ging sie zurück in die Küche.

Arya las weiter.

Wie kann ich loslassen?

„Ja genau – und vor allem:

Wie kann ich loslassen, wenn ich jemanden liebe“,

meinte Arya zu Abraxas.

„Die eben genannten Beispiele verdeutlichen Folgendes:

    1)    die Komplexität der Themen Partnerwahl und Verlieben

    2)    Anziehung unterliegt starken Schwankungen.

    3)    Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Beziehung zu Ende geht, ist hoch.

    4)    Es ist schwer, Tipps zu geben, wie man im Bereich Liebe loslassen kann, weil Liebe sehr individuell ist und niemand wirklich erklären kann, wer wen warum anziehend findet.

Pauschal kann ich jedoch drei Punkte empfehlen, die sich bewährt haben.

1) Perspektivenwechsel

Der erste Schritt ist, dafür zu sorgen, dass man eine andere Perspektive auf seine Situation bekommt.
Die oben genannten Ströme erschweren einen Perspektivenwechsel.
Deshalb ist es wichtig, sich mit anderen auszutauschen.
Bei leichteren Fällen sind das die befreundete Prinzessin oder der beste Ritter-Freund.
Bei größerem und lang anhaltendem Leid ist es ein Psychotherapeut.

Ein Greifvogel fliegt mit weit ausgebreiteten Schwingen durch die Lüfte und sieht dabei nach unten.

  Zusätzlich kann man Bibliotheken nach Tipps durchforsten und dabei prüfen, wie sich der einzelne Tipp für einen selbst anfühlt. 

2) eine klare Entscheidung

Was verflossene Liebe und Trennungen anbelangt, kann man reden, schwelgen, fragen, suchen, Rituale durchführen, Symbole benennen, so viel man will – am Ende zählt der Wille.
Was will ich? Diese Frage muss man sich stellen.

Will ich weiter leiden, hinterher trauern und den Rest meines Lebens samt neuer Möglichkeiten und Partner verpassen?
Oder will ich das nicht und mich stattdessen für Neues öffnen?

Wenn ich mir diese Fragen stelle und sie ehrlich beantworte, bekomme ich Klarheit.
Diese Klarheit stellt bereits eine Erleichterung dar.

    3) Ausmisten

Wenn man sich für das Loslassen und eine Neuöffnung entschieden hat, ist der nächste Schritt, an die Gegenstände der verflossenen Liebe heran zu gehen.

Eine Kängurumutter steht auf einer grünen Wiese.
In ihrem Beutel sitzt ihr Baby.
Sie blickt in die Kamera.

Schritt für Schritt geht man alles, was man von der Person hat, durch und schaut, welche Gefühle hochkommen.
Dies ist von Person zu Person unterschiedlich.
Es gibt Gegenstände, die mittlerweile zum „Eigenen“ geworden sind, wie eine hübsche Halskette, die genau zu dem einen Kleid passt.
Oder Fotos, auf denen ein besonders süßes Känguru mit drauf ist.“

„Kängu-was…?“, wunderte sich Arya.

„Jeder Gegenstand wird auf darauf geprüft, welche Reaktion er in uns hervorruft.
Diejenigen, die positive Gefühle hervorrufen, entweder, weil sie mit einem schönen Ereignis verknüpft sind (Baby Känguru) oder weil wir sie mit Freuden nutzen (schöne Kette), dürfen bleiben.
Diejenigen, die mit Kummer und Sehnsucht verbunden sind, müssen gehen.
Anders geht es nicht.
Anders werden wir vom Ex-Freund nicht frei und können uns nicht für einen neuen Partner öffnen.

Dies ist ein Prozess, der nicht von heute auf morgen geschieht.
Wichtig ist, dass wir beginnen.
Ohne den Anfang können wir nicht fertig werden. 

Eine Tücke an diesem Vorgehen ist, dass wir uns gerne selbst täuschen.
Wenn wir uns gegen das Loslassen sperren, erzählen wir uns, dass ein Gegenstand nur freudige Gefühle hervorruft, obwohl wir bei dessen Anblick eigentlich traurig sind.
Deshalb ist es gut, einen einfühlsamen Menschen dabei zu haben, dem man vertraut.
Dieser Mensch fungiert wie ein Spiegel. Mikromimik zeigt, wie wir uns fühlen.
Da wir uns selbst nicht sehen, hat sich ein anderer Mensch als Spiegel bewährt.

Im Wald steht ein Mensch, den man nicht sieht.
Er hält einen großen Spiegel, der ihn verdeckt.
Im Spiegel spiegelt sich Wald.

Ein weiterer Vorteil ist, dass uns dieser Mensch begleiten kann, wenn Gefühle hochkommen, die wir bisher vermieden haben, weil sie uns belasten.
Er nimmt uns beim Fühlen an der Hand.

Am Ende haben wir die wertvolle Erfahrung gemacht, dass wir doch im Stande sind, unangenehme Gefühle zu durchleben.
Dadurch fühlen wir uns stärker und bekommen mehr Selbstbewusstsein.

Es gibt ein Vorgehen, das meiner Erfahrung nach das Loslassen erleichtert:
Wir gehen alles durch, was wir besitzen.
Dabei befolgen wir diese Reihenfolge:

  • Gewände

  • Bücher

  • Schriften

  • diverse kleinere Dinge

  • Küche „Ok, das fällt bei mir weg“, grinste Arya.

  • Nostalgisches – in diesem Fall die Sachen vom Ex.

Warum unterstützt uns dies beim Loslassen?
Dafür gibt es drei Gründe:

1)    Im Laufe des Ausmistprozesses werden wir immer geübter im Wahrnehmen von Reaktionen und Gefühlen.

2)    Dinge, die wir bis zur Kategorie „Nostalgisches“ schon losgelassen haben, stellen Motivation und Ermutigung dar.

3)    Der Fluss, der während des Prozesses entsteht, trägt uns und erleichtert das Loslassen.“

Durch Gestein, das von Moos grün gefärbt ist, schlängelt sich ein Fluss, der mit einem kleinen Wasserfall beginnt.

„Puh“, sagte Arya zu Abraxas, „das ist ja eine langwierige Angelegenheit. Aber schon interessant. Und wenn es hilft…“

Loslassen mit Ordnungs-/Aufräumcoach und Preis

Sie las weiter:

„Man kann eine Freundin um Hilfe bitten.
Auch ich unterstütze gerne.
Die Postkutsche erreicht mich unter „kontakt@sibylle-aufraeumcoaching.de“.
Damit können wir ein 15 minütiges kostenfreies Telefonat vereinbaren.

ein edler, verzierter Briefkasten
An einer Seite befindet sich ein Reiter mit Posthorn auf seinem rennenden Ross.

„Hm, das ist ja eine merkwürdige Adresse“, dachte Arya.

„Ein Tag mit 6 Stunden kostet 700 Goldstücke.
Reisekosten werden ab einer Entfernung von 10 km ab München Schwabing mit 0,70€ pro km berechnet (hin und zurück).
Weitere Informationen befinden sich im Märchen zum Thema „Ordnungscoaching.“

„Hm, solange ich noch nicht Königin bin, habe ich nicht so viele Goldstücke.
Aber ich werde Berti fragen. Die hilft mir bestimmt beim Ausmisten.“

Arya stand auf und rannte in die Küche.
„Berti, Berti, stell dir vor – ich habe etwas Geniales gefunden!“
Sie erzählte Berti von ihrem Plan und Berti wollte sie gerne bei ihrem Vorhaben unterstützen.

Loslassen – es geht los

der Kopf eines Raben
dahinter unscharfe, grüne Blätter

Schon an Bertis nächstem freien Tag machten sie sich gemeinsam an die Arbeit.
Natürlich war Abraxas mit von der Partie.
Seinem scharfen Rabenauge entging nichts.

Mit Erstaunen stellte Arya fest, dass sich noch einiges mehr in ihren Gemächern befand, was sie belastete.
Sie besaß viele Gegenstände, die sie an etwas aus ihrer Vergangenheit erinnerten, dem sie nachtrauerte.

Aber nun wusste sie, dass sie sich nicht davon hatte trennen können, weil sie emotional noch an die Ereignisse aus der Vergangenheit gebunden war.
Sie konnte tatsächlich wahrnehmen:
Wenn sie den Mut aufbrachte, ein Gefühl zuzulassen, war es, als würde es sich hinterher auflösen, wie Nebel, der sich lichtet und sie fühlte sich ein Stückchen freier.

Es ging letzten Endes nicht um die Dinge.
Denn wenn sie Erinnerungen und Gefühle, die daran hängten, verarbeitet hatte, konnte sie sich mit Leichtigkeit von ihnen trennen.

Ein See mit Bäumen, die von Nebel bedeckt sind.
Im Hintergrund leuchtet aber die Sonne und malt alles leicht gelb, orange, braun und grau.

„Ich bin so froh, dass du mir hilfst, Berti. Ohne dich hätte ich das bestimmt aufgeschoben bis zum Sankt Nimmerleinstag.
Dann wäre ich ganz alleine gewesen mit meinen Gefühlen, eingeigelt am Räumen in meinen Gemächern, abgetrennt von den anderen, die in der Zwischenzeit etwas Schönes machen und womöglich noch auf einen Ball gehen.

Im Buch wurde der Schmerz, den wir beim Loslassen spüren, erklärt mit irgendwelchen chemischen Prozessen im Gehirn, die ablaufen, wenn wir etwas weggeben, aber das habe ich nicht verstanden.
Berti, was meinst du –

warum tut loslassen so weh?“

„Mein liebes Kind, ich weiß es nicht.
Vielleicht ist das einfach so, weil wir Menschen sind und dies das Mensch-Sein ausmacht. Kämen wir vom Mond, wäre es vielleicht anders.
Aber dann könnten wir womöglich nicht den Sonnenuntergang über den Bergen hinter dem Schloss genießen oder den Duft des Waldes bei Regen!
Was wäre ein Leben ohne?!“

Arya nickte bedächtig.

Vor einem dunkelblauen Abendhimmel steigt ein großer apricotleuchtender Vollmond empor.
Unter ihm befindet sich ein Hügel mit Bäumen und Häusern.

Loslassen können

Berti fuhr fort:
„Schau, ich vermisse meinen Johann auch – Gott hab ihn selig.
Ich rede auch manchmal mit ihm. Aber das ist eine andere Situation als mit diesem schnöseligen Prinzen.
Vielleicht wolltest du ihn nur, weil er so reich und prachtvoll gekleidet war.
Vielleicht wollte auch er dich nur, weil du in deinen hübschen Ballkleidern so brillierst.
Vielleicht wäre es ratsam einmal als Bauernmagd verkleidet durchs Dorf zu gehen.
Vielleicht erkennst du dann, wer das Herz am rechten Fleck hat.

Jedenfalls habe ich keinen Herzschmerz mehr, wenn ich an meinen Johann denke, sondern empfinde Freude. Ich habe ihn geliebt und bin dankbar für die schönen Jahre, die wir miteinander verbracht haben.
Als es Zeit war für ihn, zu gehen, habe ich ihn gehen lassen, so dass ich ihn nicht daran hindere, seinen Weg in den Himmel fortzusetzen.
Wenn ich mich gegen eine Situation sperre, verhärte ich mich und erstarre innerlich.
Wenn ich seinen Tod akzeptiere und mich der Situation hingebe, kann ich mich entfalten und frei schwingen.
Ebenso konnten die Schwingen seiner Seele ihn dort hintragen, wo er hin gehört. 

Ich vertraue darauf, dass wenn ich die Pforte zu unserem Herrgott überquere, dass ich ihn dann wieder sehe.
Insofern passt der Spruch, den meine Uroma gesagt hatte:
„Angst hält fest, Liebe lässt los.“


Das heißt, das ist dann ein Loslassen aus Liebe.“

Abraxas war still geworden.
Er hatte Bertis tröstenden Worten aufmerksam zugehört.

Brust und Kopf eines Raben vor einem grauen Hintergrund

Am Abend, als sie mit Ausmisten fertig waren und Berti wieder in ihre Kammer zurückgegangen war, fragte er:
„Arya, kannst du mir bitte das Kästchen mit der Feder meines Freundes öffnen?“
„Natürlich, Abraxas, hier.“

Behutsam nahm er die weiche Feder in seinen Schnabel. Dann trugen ihn seine Schwingen aus Aryas Erkerfenster hinaus in die Nacht.
Er flog zu der Stelle am Fluss, an der er und sein Freund gerne herum getollt hatten. Er setzte sich auf einen Ast und bedankte sich still für die schöne Zeit, die er mit ihm gehabt hatte.

Dann übergab er die Feder dem Wind und sah zu, wie er sie fort trug.
Es sah aus, als würde der Wind ihr Schwingen verleihen.
Und so, als wäre es ein Gruß von seinem Freund, wirbelte die Feder noch einmal hoch in die Luft und glitt dann davon Richtung Flusslauf, getrieben vom Luftstrom, der den Fluss auf seiner Reise begleitete.

ein Fluss mit Bäumen
Darüber leuchtet am dunklen Himmel grünlich die Aurora Borealis.